Wie Jobsharing im Top-Management funktioniert
„Top-Sharing“ – Top-Management und Jobsharing – das ist noch immer ein Schlagwort wie aus einer anderen Welt.
Vereinzelt gibt es mutige und vorausschauende Köpfe an der Spitze von Unternehmen, die die Vorteile solcher neuer Arbeitsmodelle in der Arbeitswelt 4.0 für ihre Organisation bereits erkannt haben und diesen Schritt wagen.
Worum geht’s beim Top-Sharing?
Zwei Führungskräfte teilen sich eine Führungsposition und führen ihren Verantwortungsbereich in enger gemeinsamer Abstimmung miteinander, sowohl nach innen wie auch nach außen.
Wie genau kann ein Top-Sharing Modell aussehen?
Es gibt eine Reihe möglicher Modelle. In einem von CONTRACT begleiteten Fall ging es konkret um die Neubesetzung einer Führungsposition direkt unterm Vorstand. Auf der Suche nach einer kompetenten Besetzung wurden zwei junge Frauen angesprochen, die fachlich hervorragend geeignet waren. Beide konnten sich zwar die Rolle sehr gut vorstellen, nicht jedoch die damit verbundene zeitliche Bindung.
Daraus entstand die Idee, diese Stelle zu je 50% zu teilen. Nachdem geklärt war, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt, haben sie sich ein Kollaborationsmodell erarbeitet, das genau auf die Organisation einerseits und auf ihre persönliche Situation andererseits zugeschnitten ist. Das konkrete Modell von Anwesenheit, Direktions- und Teamführung, Homeoffice, Wahrnehmung von Terminen, Vertretung im Urlaubs- und Krankheitsfall wurde miteinander entwickelt und war auch Grundlage der gemeinsamen Bewerbung auf diese Top-Führungsposition.
Welche Vorteile versprach sich die Organisation davon, einen solch hohen Posten zu teilen?
Die Teilung der Position war sicher der Tatsache geschuldet, hier zwei Top-Kandidatinnen für diese Rolle gefunden zu haben, die man aber beide mit 100 Prozent nicht hätte gewinnen können, da das aus persönlich unterschiedlichen Gründen für sie nicht in Frage kam.
Zudem war die neue Unternehmensspitze mit der Perspektive angetreten, im Unternehmen neue Modelle der Arbeit und Zusammenarbeit möglich zu machen, um Fach- und Führungskräfte für das Unternehmen gewinnen und auch binden zu können. Das betrifft sowohl flexiblere Arbeitsformen wie agiles Arbeiten, als auch die Förderung einer größeren Diversität in allen Teams und Bereichen des Unternehmens. Das Unternehmen hat erkannt, dass es sich verändern muss, um Top-Leute zu fördern und zu halten.
Welche weiteren Chancen bietet Top-Sharing für Unternehmen?
Zum einen die Chance, mehr hochqualifizierte Frauen für Top-Positionen zu gewinnen. Dieses Potenzial weiterhin so brachliegen zu lassen, können wir uns in Deutschland eigentlich schon lange nicht mehr leisten.
Und ein solches Modell unterstützt natürlich erkennbar die Vereinbarkeit verschiedener Lebensentwürfe. Das ist und sollte auch kein spezielles Frauenmodell sein. Wahrscheinlich gelingt es aber mit einem solchen und ähnlichen Modellen mehr Frauen zu motivieren, den Schritt in die obersten Führungsebenen wirklich zu gehen.
Zudem hat das Unternehmen hier noch den Vorteil, eine Position zu besetzen und zugleich doppeltes Fach- und Erfahrungswissen zur Verfügung zu haben, das wohl schwerlich in einer Person gebündelt zu finden wäre und in diesem Fall ja auch nicht gefunden wurde.
Wie hat CONTRACT die beiden Frauen auf ihre künftige Rolle vorbereitet?
Die beiden haben sich vorab entschieden, gemeinsam ein Coaching zu machen. Ein Coaching ermöglicht eine geschützte gemeinsame Auseinandersetzung mit den eigenen Rollenerwartungen, den Erwartungen an das Zusammenspiel und mit dem gemeinsamen Führungsverständnis. Da werden zunächst sehr persönliche Themen besprochen: Welche Lebensentwürfe haben beide, welche Ambitionen und Werte. Was macht sie als Personen aus, welche Stärken, Eigenheiten und Schmerzpunkte bringen sie mit. Erst auf dieser Basis wird ein Kollaborationsmodell erarbeitet.
Wie wird ein funktionierendes Modell der Zusammenarbeit entwickelt?
Es gibt ein Set an Themen, die gemeinsam entwickelt werden sollten. Das fängt an bei den Vorstellungen zur Strategie und Zukunftsperspektive des künftigen Verantwortungsbereichs und den Vorstellungen von Führung und Zusammenarbeit im Duo. Die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsteilung sollte entwickelt werden, auch damit das Umfeld weiß, worauf es sich einlässt. In unserem Fall haben die beiden Führungskräfte beispielsweise vereinbart, mittwochs beide im Unternehmen zu sein.
Was hilft, die zwischenmenschliche Beziehung eines solchen Top-Sharing-Duos zu stärken?
Die beiden haben sich zum Beispiel ein „ritualisiertes“ Feedback angewöhnt. Spätestens freitags werden Zusammenspiel und Persönliches angesprochen, damit das nicht in der Abarbeitung der Sachthemen untergeht. Für strategische Themen und operative Abstimmungen haben sie sich eine regelmäßige „Übergabe“-Agenda erarbeitet, die die Abstimmungsprozesse möglichst effektiv macht. Dazu gehört auch ein gemeinsames Ablagesystem, das die gemeinsame Assistenz mitpflegt.
Was ist einem Duo wie diesem für die ersten 100 Tage zu raten?
So ein Modell ist noch nicht gewöhnlich. Es wird sowohl Befürworter und Skeptiker auf allen Ebenen geben. Da hilft es, sich persönlich und gemeinsam überall einzuführen bzw. einführen zu lassen. Es sollte für alle Beteiligten klar werden, wie dieses Modell – z.B. in der Zusammenarbeit mit den anderen Führungskräften, vor allem aber innerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs – gedacht ist und funktionieren kann. Gegenüber den anderen Führungskräften sollte deutlich werden, dass es dann gut funktioniert, wenn alle mitspielen und alle zum Erfolg des Modells beitragen. Den Mitarbeitenden sollte klar werden, dass Feedback und Verbesserungsvorschläge explizit erwünscht sind.
Für wen/welche Unternehmen eignet sich ein solches Modell?
Es gibt extrem schnittstellenmultiple Rollen, bei denen die Besetzung durch zwei Personen den Geschäftsablauf sehr komplex machen würde und sich solch ein Modell vielleicht weniger eignet. Aber letztlich kommt es darauf an, ob das Unternehmen und die handelnden Personen bereit sind, solche Veränderungen mitzugehen, zu unterstützen und zum Erfolg zu bringen. Dann ist so ein Modell für viele Unternehmen und Organisationen machbar.
Welche Bedingungen sollten erfüllt sein?
Die Sharing-Partner sollten „miteinander können“ und ihre Unterschiede schätzen, so dass sie sie auch produktiv nutzen können. Und die Unternehmensführung muss hinter dem Modell stehen, sonst haben die Bedenkenträger zu leichtes Spiel. Das Zusammenspiel in der gesamten Führungsetage wird sich ein Stück weit mit verändern, das darf ruhig laut gesagt werden.
Wie jede Führungskraft sollten sich die Sharing-Partner/-innen regelmäßig Feedback von ihren Mitarbeitenden zur Praktikabilität des Sharings einholen. Sie sollten zudem ein Commitment über einen gemeinsamen Zeithorizont schließen, ggf. 5 Jahre, in dem sie sich gemeinsam zu dieser Rollenkonstellation vereinbaren, auch jenseits des offiziellen Vertrags mit dem Unternehmen.
Wann ist Top-Sharing zum Scheitern verurteilt?
Wenn die Doppelspitze eigentlich nicht wirklich miteinander kann und daraus zu große Abgrenzungsbedürfnisse entstehen, die das gesamte Modell dann gegebenenfalls zum Scheitern bringen. Und wie schon betont: das Modell muss von der Unternehmensspitze gewollt sein.