Verbesserung der Bindungswirksamkeit von Unternehmen durch Systemqualitäten und Purpose

Ein Expertengespräch unserer Berater Götz Hentschke und Simon Pfersdorf

Ein Expertengespräch unserer Berater Götz Hentschke und Simon Pfersdorf

Bei der Erarbeitung des Themenschwerpunkts „Bindungswirksamkeit von Organisationen“ streiften wir unterschiedliche Projekte und Modelle. Eines davon hat wiederholt unsere besondere Aufmerksamkeit bekommen: Systemqualitäten. Mit Götz Hentschke, einem der Berater, die das Modell nutzbar gemacht haben, um die Bindungswirksamkeit von Teams und Organisationen zu verbessern, führten wir dazu dieses Gespräch.


Simon:
Hallo Götz, schön, dass wir heute unser Gespräch zu Bindungsfähigkeit von Organisationen und Systemqualitäten führen können. Als erstes interessiert mich, was das Modell der Systemqualitäten eigentlich ausmacht.

Götz:
Ein paar Kollegen und ich haben damals ein Modell entwickelt mit der Leitfrage: Was braucht es eigentlich, damit ein System bzw. eine Organisation lebensfähig ist? Dabei kamen wir auf 9 Faktoren, die für uns Systemqualitäten abbilden. Beispielsweise, wie organisationsintern Entscheidungen getroffen werden; werden sie in der angemessenen Zeit getroffen? Oder wie ist es mit Innovationsfähigkeit; wird Innovation in einem richtigen Maß gemacht? Das Konzept der 9 Systemqualitäten haben wir dann genutzt, um u.a. mit einem Team aus der Automobilbranche deren Systemqualitäten zu reflektieren. Die Teammitglieder haben sich in einem Workshop diese Begriffe erobert, für sich definiert und diskutiert. Anschließend haben wir diese Systemqualitäten mit dem Team in eine Landkarte des aktuellen Zustandes des Teams und seiner bevorstehenden Herausforderungen „übersetzt“ und gezeichnet. Es gab dem Zustand entsprechend auf dieser Karte Flüsse, Lichtungen, Berge, kaputte Brücken oder Straßen, die nicht zum Ziel geführt haben. Es gab Sümpfe und ganz dichte Wälder. Dadurch haben sich die Teammitglieder intuitiv mit ihren Systemqualitäten und mit dem Zustand ihres Systems auseinandergesetzt. Sie haben Bewertungen der Qualitäten vorgenommen: einige waren überausgeprägt, andere in guter Balance, wieder andere waren unterausgeprägt. Und schließlich wurden die drei für ihren Kontext relevantesten Systemqualitäten genauer unter die Lupe genommen. Diese drei hatten für die Gruppe eine hohe Priorität und damit auch eine hohe Hebelwirkung auf die Zukunftsfähigkeit. Das Team setzte sich mit diesen priorisierten Qualitäten tiefergehend auseinander und baute auf die Art sowohl intuitiv als auch kognitiv einen Bezug zu ihrem System auf.


Simon:
Wow, das ist für mich ein schönes Beispiel, wie wir Modelle in einem systemischen Beratungsansatz nutzen, um Entwicklungsprozesse in Organisationen anzustoßen bzw. zu verstärken. Was haben die Systemqualitäten aus heutiger Sicht mit der Bindungswirksamkeit einer Organisation zu tun?

Götz:
Wenn eine Organisation ihre Systemqualitäten regelmäßig reflektiert und überlegt, wo stehen wir eigentlich, dann schafft man zumindest für die in solchen Prozessen mitdenkenden Menschen natürlich eine Bindungswirkung. Denn die überlegen sich selbst: Wer sind wir eigentlich und wo wollen wir hin?
Das war der eine Gedanke, wie man nicht dieses alte Modell der Systemqualitäten und die Bindungswirkung zusammenbringen kann.


Simon:
Für mich passt das gut zu einer unserer Hypothesen, nämlich, dass wenn meine Organisation Probleme hat, ihre MitarbeiterInnen zu halten, dann sind die Menschen nicht ausreichend in Kontakt mit ihrer Organisation. Das Modell der Systemqualitäten und deine Arbeit damit sehe ich so als eine sehr schöne Möglichkeit, wie Mitarbeiter*innen und Führungskräften die Verbesserung ihrer gegenseitigen Bindung sowie ihrer Bindung zu ihrer Organisation gelingt. Was ich besonders mag an deinem Vorgehen, ist, dass die Beteiligten nicht nur in der Diskussion, sondern auch emotional in eine konstruktive Auseinandersetzung und Weiterentwicklung kommen. Gerade wenn wir von Bindung sprechen, kommt es naturgemäß auf die emotionale Qualität besonders an.

Götz:
Ja, das teile ich und entspricht auch meiner Erfahrung aus der Begleitung von Teams und Organisationen. Und die Gruppe damals, die war dann für eine lange Zeit ein eingeschworenes Team. Das hatte einen positiven Einfluss auf den Prozess. Und natürlich, wenn Teams so einen Prozess anfangen und am Ball dranbleiben, sich also zum Beispiel nach 2 Jahren wieder treffen und fragen – Was haben wir eigentlich erreicht? Dann erhalten sie sich diese Nähe im Team und da entsteht natürlich eine Bindungswirkung.
Zugleich sehe ich aber heute auch andere nützliche Ansätze, um mit Organisationen an ihrer Bindungswirksamkeit zu arbeiten. Wenn ich eine Organisation vor mir habe, die mit Fluktuation kämpft und ich gar nicht erst die Kapazität habe, mit den Führungskräften Systemqualitäten zu besprechen, wie erreiche ich dann eigentlich einen größeren Teil von Mitarbeitenden, damit eine Bindungswirkung entsteht? Dann könnte die Arbeit mit Führungskräften zu Systemqualitäten ein sehr kompliziertes Vorgehen sein. Ich glaube, dass für Bindungswirkung noch eine Art von Auseinandersetzung mit der Organisation auf der normalen Mitarbeiterebene stattfinden sollte.



Simon:
Ich stimme dir zu, dass die Symptome unzureichender Bindungswirkung und damit der Druck häufig direkt auf Mitarbeiter*innen-Ebene entsteht und spürbar wird. Und zugleich gibt es diesen häufig geteilten Satz: „Menschen verlassen nicht ein Unternehmen, sondern sie verlassen ihre Führungskraft“. Andersherum formuliert: wenn Führungskräfte besser verstehen, wie sie durch ihr Handeln und ihr Sprechen ihren Mitarbeiter*innen ein attraktives (Ziel-)Bild ihres Unternehmens vermitteln können, wird ihnen die Bindung durch sie selbst als Führungspersönlichkeit leichter gelingen.
Wenn ich also Führungskräfte dabei unterstütze, ein gemeinsames Verständnis für die Ist-Situation zu schaffen, gewinne ich mehrfach: (1) Die Führungskräfte erkennen die notwendigen nächsten Maßnahmen für ihre Führung und die Organisationsentwicklung. (2) Sie binden sich selbst über diesen Prozess nochmal anders an das Unternehmen. (3) Und sie können ihre Bindungserfahrungen wiederum selbst nutzen, um authentisch diese als Ressource anderen zur Verfügung zu stellen, um diese an das Unternehmen zu binden. (4) Und sie lernen auch voneinander, wie sie selbst einer der wichtigsten Faktoren für Bindung von Mitarbeiter*innen sein können.

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Götz:
Eine Führungskraft, die selbst weiß, was an diesem System gut läuft und wo es noch Entwicklungspotenzial gibt, ist sicherlich in anderer Weise aussagefähig zu „Sag‘ mal Chef, wie läuft’s eigentlich?“, als wenn das nicht passiert. Aber manchmal braucht es auch einen Ansatz, der auf einer anderen Ebene ansetzt: bei den Mitarbeiter*innen und der Identität der Organisation. Der Systemtheoretiker und Organisationssoziologe Niklas Luhmann hat gesagt, dass eine Organisationsidentität immer kommunikativ erzeugt wird. Entweder durch die Kommunikation von „oben“ oder wenn keine gezielte Kommunikation erfolgt oder mit den Mitarbeitenden gestaltet wird, durch den Flurfunk. Praktisch heißt das: Statt dass die Führungskräfte selbst den Satz „Wir sind ein Unternehmen, das …“ beenden, kann bspw. in Workshops die Antwort darauf mit den Mitarbeiter*innen direkt erarbeitet werden. So entsteht dann ein bindungswirksamer Purpose, den die Mitarbeiter*innen entwickeln und dadurch eine besondere Identifikation. Und da geht es dann sowohl darum, was können wir der Welt bieten? Aber genauso auch, kann ich mich mit dem, was die Organisation für eine Identität vorgibt, identifizieren und merke ich das auch im Inneren? Also – Wir sind modern, merke ich das auch nach innen? Wir sind freundlich, merke ich das auch nach innen?


Simon:
Auch in diesem Vorgehen spüre die emotionale Kraft. Der Prozess selbst lässt Bindung entstehen und durch diese Bindungsqualität des Prozesses, wird die tatsächliche Bindung zwischen Organisation und Mitarbeiter*in im Alltag erhöht. Daher schätze ich das Vorgehen ebenfalls. Ich sehe beide Herangehensweisen, also Arbeit an den Systemqualitäten einer Organisation mit deren Führungskräften oder Purpose-fokussierte Arbeit direkt mit Mitarbeiter*innen als zwei schlüssige Vorgehensweisen. Abhängig würde ich als Berater meine Empfehlung zum Vorgehen jeweils von der Ausgangssituation machen, die ich mir mit dem Kunden erarbeite. Je nach Lage der Herausforderungen und Zielstellung habe ich nun über unser Gespräch zwei Ansätze besser kennengelernt, die ich gerne in meine Beratungsarbeit übernehmen werde. Vielen Dank für das Gespräch mit dir!

Götz:
Vielen Dank dir!


Wie wir Purpose-Fokussierte Beratungsarbeit bei einem unserer Kunden umgesetzt haben, erläutern wir Ihnen in unseren Herangehensweisen.


Götz Hentschke

Berater und Trainer für Systemische Fortbildung, Projektleiter und Coach

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