New normal ist noch ein gutes Stück Weg – eine persönliche Perspektive

Ob Home-Office, hybride Seminarkonzepte, flexiblere Arbeitszeitmodell – seit einiger Zeit sehe ich mich immer häufiger mit diesen Begriffen konfrontiert und sie alle werden uns unter dem Einfluss von Corona plötzlich bereits als das „New normal“ verkauft.

Doch normal ist eigentlich für mich noch gar nichts. Ausgelöst durch Corona haben sich die Arbeitsbedingungen für viele von heute auf morgen geändert. Plötzlich war möglich, was lange Zeit unmöglich schien. Die Arbeit von zu Hause aus war nicht mehr die Ausnahme, sondern wurde über Nacht die Regel. Neue technische Möglichkeiten, mit denen ich mich lange nur halbherzig befasste, waren plötzlich der einzige Weg, Kontakte mit Kunden, Kolleg*innen und der Familie zu pflegen oder überhaupt in Kontakt zu bleiben. Selbständiges virtuelles Lernen war keine diskutierte Alternative, sondern die einzige Möglichkeit, auf Stand zu bleiben oder persönliche Lernthemen anzugehen.

Aber ist das schon „normal“?

Mit den sinkenden Inzidenzwerten im Frühjahr 2021 blitzte die Hoffnung auf, es gebe einen Schritt zur alten Normalität, aber diese alte Normalität so haben wohl mittlerweile alle begriffen, wird es so nicht mehr geben. Nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch als Individuum spürt man deutlich, dass sich die Uhr nicht zurückdrehen lassen – und aus meiner Sicht ist das auch gut so!

Corona, die dramatischen Entwicklungen und Auswirkungen des Klimawandels, die Erwartungen an die Vereinbarkeit von (Privat-)Leben und Beruf sowie die Notwendigkeit zu flexibleren Arbeitszeitmodellen, all das braucht neue Lösungen, die jedoch noch lange nicht NORMal sind. Und sie fordern gerade mich als Individuum auf, mich aktiv in diesen Prozess einzubringen, denn Abwarten und Anpassen sind keine Alternative, neue Normen müssen gestaltet werden.

Zeit- und ortsflexibles Arbeiten setzt voraus, dass auch meine Arbeitstage ggf. zeit- und ortsflexibel sind – und das kann nicht zu Lasten der übrigen Kolleg*innen gehen. Es funktioniert mit Rücksicht und wahrem Teamgeist. Und wo beides vor Corona noch nicht bestand, muss es jetzt ganz klar und bewusst aufgebaut werden.

Eine höhere Flexibilität in von außen nicht zu beeinflussenden Situationen erfordert von mir, mich mit meinem eigenen Sicherheitsbedürfnis und meiner Fähigkeit zur Selbststeuerung auseinanderzusetzen. Untersuchungen zum Thema Work-Life-Integration unterscheiden Segmentierer und Integrierer. Beide gestalten ihre Arbeit Unterschiedlich: Segmentierer setzten einen klaren Trennstrich zwischen Arbeit und Privatleben, Integrierer integrieren die Arbeit in das Privatleben. Beide empfinden die vom anderen bevorzugten Arbeitsbedingungen als stressig. (s. A. S. VOSS/W. Fischmann/H. Drexler: Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen und psychische Belastung bei „Segmentierern“ und „Integrierern“ in kleinen und mittelgroßen Unternehmen, GfA Dortmund (Hrsg.) Frühjahrskongress 2019, Dresden).

Wie gestalte ich nun bei den unterschiedlichen Ansätzen der Kolleg*innen in meinem Team eine gute Struktur, die reibungsloses Arbeiten ermöglicht und dennoch die Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse berücksichtigt? Solche Themen brauchen die aktive Auseinandersetzung, die direkte Kommunikation und Diskussion mit den Kolleg*innen; hier sind wir erst auf dem Weg und noch lange nicht in der neuen Normalität angekommen.

Und wenn wir schon auf dem Weg zu neuen Formen der Zusammenarbeit sind, warum dann nicht auch mal hinterfragen, ob alte Zöpfe abgeschnitten werden können. Die von allen beklagte und ständig nervende E-Mail-Flut kann durch eine neue Form aktiver und passiver Kommunikation verschlankt werden (z.B. durch Einführung spezieller virtueller Meetingformen).

Aus meiner Sicht ist das A und O für das neue Normal eine tragende Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten, ob Geschäftsführung, Mitarbeitende, Kunden… Ohne Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, aber auch in mein jeweiliges Gegenüber werden weder die Elemente des New Normal tragen, noch werden wir die Herausforderungen, die vor uns stehen, bewältigen können. Und ich selbst bin und jeder von uns ist aus meiner Sicht gefordert, Vertrauen zu schenken, sich Vertrauen zu erarbeiten und vertrauensstärkende Kommunikation zu gestalten. Transparenz über Verfügbarkeiten, Verbindlichkeiten gegenüber Kolleg*innen, Flexibilität bzgl. Aufgaben und Rollen sind hier nur einige Beispiele. Vielleicht sind Vertrauen und Verbindlichkeit gleichzeitig die größten Chancen und auch die größten Risiken rund um das Thema New Normal in Zeiten des Wandels.

Gerald Hüther hat einmal beschrieben, dass Menschen neue Gewohnheiten brauchen und “eingefahrene Bahnen des Denkens verlassen“ müssen, um sich weiterzuentwickeln.

Unsere aktuelle Zeit bietet dazu viele Lernchancen. Eine neue Normalität gestalten wir alle zusammen. Jede/r Einzelne von uns muss jetzt dazu Stellung beziehen, welche Normen wir uns als Gemeinschaft nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre geben wollen. Und jede*r muss die Frage für sich beantworten, welche Schritte auf dem Weg zu einem New Normal er/sie auch bereit ist zu gehen. Ein „Weiter so“ kann und wird das New Normal nicht sein!

Christine Genotte

Christine Genotte

Beraterin, Trainerin, Teamentwicklerin, Moderatorin und Coach.

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