Mehrgenerationale Teamführung in der heutigen Organisationswelt

Ein Interview mit unserer Expertin Irene Ott-Hargina zum Thema Generationenwandel in der Arbeitswelt und ihren Erfahrungen, wie die Herausforderung gelingen kann

Ein Interview mit Irene Ott-Hargina

Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Irene, du hast für das Thema Generationenwandel in der Arbeitswelt eine gewisse Vorliebe und einen guten Zugang. Wenn ich den aktuellen Diskurs dazu richtig verstehe, haben jüngere Menschen oft andere Bedürfnisse, was die Arbeit anbelangt. Sie wollen expandieren und Neues ausprobieren, während die Älteren eher integrativ und vielleicht sogar generativ unterwegs sind. Daraus ergeben sich in der Arbeit Herausforderungen. Meine Frage an dich: Wie ist dein Zugang zu dieser Thematik?

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Danke für deine Frage. Ich erzähle einfach mal, was mir gerade durch den Kopf geht. Gestern erst war ich bei einem Team mit sehr hoher Altersdiversität unterwegs. Was ich da bemerkt habe, ist Folgendes: Im Alter ändern sich tendenziell nicht mehr so viele Bedürfnisse, aber die Befriedungsinhalte derer. Anregende Stimuli müssen für jüngere Personen, die in anderen Lebensphasen stecken, anders formuliert werden als für ältere Personen. Das bedeutet aber nicht, dass ältere Mitarbeiter*innen keine neuen Stimuli mehr suchen! Es sind nur unterschiedliche. Dazu kommt mir auch das Lebensphasen-Modell von C.G. Jung in den Sinn. Die grundlegende Frage ist: Was sind spannende Stimuli in verschiedenen Lebensphasen, um Arbeit attraktiv zu machen? Die Bedürfnisse der unterschiedlichen Generationen können sich dabei stark voneinander unterscheiden. Eine Problematik ist dabei, dass Ältere oft einfach keine befriedigenden Stimuli – außer Umsatz – geboten bekommen. Und Umsatz ist nach 30 Jahren einfach nicht mehr genug Motivation.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Was wäre aus deiner Sicht die Qualität, die es für diese Mitarbeitenden bräuchte?

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Stimuli zu formulieren, die an das Bestehende, also die Erfahrungen der älteren Mitarbeiter*innen, andocken, und trotzdem neue Qualität haben. Das ist vor allem für junge Führungskräfte eine große Challenge.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Meiner Vermutung nach haben ältere Mitarbeiter*innen häufig ein gefestigteres Werteverständnis. Auch wissen sie oft eher, was sie wollen und nicht wollen. Jüngere Mitarbeiter*innen sind tendenziell flexibler in ihrem Werteverständnis. Als junge Führungskraft hilft mir dieses Wissen wahrscheinlich in der Führung.

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Ja. Als jüngere Führungskraft ist es ratsam, erstmal an die vorhandenen Erfahrungswerte andocken, um in den Job und das Team hineinzuwachsen. Außerdem sollte man sich darauf einlassen, dass die Werte von älteren Mitarbeiter*innen wahrscheinlich relativ stabil sind. Es ist auch wichtig zu berücksichtigen, in welcher Zeit die Leute groß geworden sind. Nehmen wir als Beispiel die Generation der Baby Boomer. Da war es beim Aufwachsen wichtig anders zu sein, rebellisch zu sein, sich zu positionieren und sich auf eigene Füße zu stellen. Mir gehört die Welt lautete die grundlegende Einstellung, und das hat in seinen Folgen positive und negative Auswirkungen. Meine Kinder (32 & 30 Jahre) sind in einer anderen Welt groß geworden. Ich habe sie vors Haus geschickt, um die Welt zu erkunden, denn sie hatten gar kein starkes eigenes Bedürfnis danach. Es war heimelig und harmonisch zuhause – nicht so ein Kampf, wie ich das früher erlebt habe. Ich kann mir vorstellen, dass diese Umstände, unter denen man aufwächst, einen großen Teil der Werteorientierung prägen können.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Spannend. Aus Sicht der Transaktionsanalyse reinszenieren wir zum Teil unsere früheren Familiensituationen in den Organisationen, in denen wir heute arbeiten. Diese Familiensituationen sind u.a. auch geprägt von generationstypischen Themen. Was folgt daraus für mehrgenerationales Führen?

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Da denke ich direkt an die Bertelsmann-Studien, die untersuchen, was Menschen in verschiedenen Lebensphasen eigentlich an Organisationen bindet. Die neuste Studie bestätigt, dass jüngere Mitarbeiter*innen sich hauptsächlich durch eine gute Teamatmosphäre wohlfühlen. Die Führung ist bei ihnen nicht unter den wichtigsten Organisationsmerkmalen. Ich glaube, das wäre bei älteren Mitarbeiter*innen anders, für sie wäre Führung bedeutsamer. Das ist natürlich auch wichtig für die Zusammenarbeit der verschiedenen Generationen. Als Organisation muss ich mich informieren, was es als Führungskraft bedeutet, wenn man verschiedene Altersstufen in seinem Team hat. Wie ist da jeweils der Blick auf Führung? Ist der Fokus darauf oder liegt der Fokus vielleicht auf dem Team? Vielleicht ist das auch ein kleiner Teil von dem, was du mit Blick auf Familie sagst: nämlich die Revolution der Baby Boomer gegen die Eltern im Sinne dessen, dass sie mehr Wert auf Führung legen, diese aber auch kritischer begutachten.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Das wirft für mich die Frage auf: Wenn man beim Bild der Familie bleibt: Wie könnte sich das Bild bei jüngeren Mitarbeiter*innen vielleicht eher hin zu einer Form der geschwisterlichen Auseinandersetzung ändern? – Stichwort Augenhöhe statt elterliches Bild der Führungskräfte.

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Ja das ist interessant, auch weil es manchmal so unscharf ist. Jüngere Mitarbeiter*innen haben oft gleichermaßen das starke Bedürfnis nach Individualität und eine totale Sehnsucht nach Gemeinschaft. Inwieweit sie bereit sind, sich mit der Gemeinschaft und damit, was Gemeinschaft eigentlich heißt, auseinanderzusetzen, ist spannend. Wie kommen wir mit individuellen Bedürfnissen und dem Wunsch nach Gemeinschaft eigentlich zurecht? Hier hängt es auch von den Kompetenzen der Mitarbeitenden ab, das zu verhandeln. Und davon, welche Unterstützung die Organisationen bieten, damit diese Verhandlungen gut ablaufen können. Denn irgendwann wird sonst zu „Papa“ oder „Mama“ geguckt.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Das sehe ich ähnlich. Ich glaube, dass es diese Widersprüchlichkeit auch in der alten Generation geben kann, zwischen „Ich will mein Wissen weitergeben“ und „Ich will meine Lieben um mich haben und Gemeinschaft erleben“. Aber die Art und Weise, wie ich diese Gemeinschaft anbiete, kann möglicherweise nicht jede*r so annehmen. Wie schafft ein generationenübergreifendes Team diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu äußern, zu verhandeln und zu verstehen, wo Möglichkeiten und wo Grenzen dessen sind?

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Ich habe starkes Zutrauen dazu, dass Gruppen diese Themen eigentlich sehr gut selbst regeln können. Es braucht jedoch Räume und Zeit, um diesen Austausch zuzulassen. Das konteragiert mit vielen Vorstellungen von Organisationen hinsichtlich Termindruck und Effizienz. Wenn diese Zeit aber investiert wird, dann kann das super funktionieren. Die Intelligenz der Gruppe ist großartig! Durch Projektgruppen in Schule und Studium sind Jüngere auch gut geübt darin, in Zusammenarbeit mit anderen Spannendes zu erschaffen.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Was ich jetzt insgesamt mitnehme, ist, dass es wichtig ist, viel stärker die individuellen Bedürfnisse in den Blick zu nehmen und nicht in Schubladendenken zu fallen. Als Führungskraft muss man sich fragen: Worauf lasse ich mich ein? Wie kann ich bzw. können wir im Team einen guten Verständigungsprozess gestalten? Welche Kompromisse sind möglich?

Portrait Irene Ott-Hargina Irene:

Ja, und wenn ich wirklich als Führungskraft oder Mitarbeiter*in unterwegs sein will, ist es auch wichtig, Storytelling als Methode zu nutzen. Damit können spielerisch Qualitäten gemeinsam erarbeitet werden, die jemand oder ein ganzes Team in sich trägt. So kann mit einer oder vielen Erzählungen in der Organisation verbindende Narrative für die Gestaltung der gemeinsamen Zusammenarbeit geschaffen werden.


Portrait Dr. Simon Pfersdorf Simon:

Das waren tolle Abschlussworte. Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

Wenn Sie mehr zu dem Thema erfahren wollen, wenden Sie sich gerne direkt an unsere Expertin und langjährige Beraterin Irene Ott-Hargina.

Irene Ott-Hargina

Beraterin, Trainerin und Coach.

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