Homeoffice – 5 Behauptungen und 5 Realitätschecks

Die Arbeitswelt nach Corona wird flexibler, mobiler und weniger zentral sein. Arbeiten im Homeoffice scheint das deutlichste Signal dafür zu sein. Doch zum Thema Homeoffice gibt es durchaus Fragestellungen. Mitarbeiter*innen sind eine wertvolle und mit Sicherheit die kreativste Ressource für Unternehmen. Da lohnt es sich doch, mal genau hinzuschauen und die relevanten Erkenntnisse pointiert zur Diskussion zu stellen.

Ich beziehe mich auf fünf gängige Behauptungen zum Thema Homeoffice und ergänze sie durch einen Realitätscheck.  

Behauptung 1: Menschen können überall produktiv sein.

Check: Wir wissen schon lange, dass nicht jedes Arbeitsumfeld gleich ist. Bestimmte Faktoren im Umfeld können z.B. die Konzentrationsfähigkeit, Produktivität oder Kreativität fördern. Deshalb sind Büros auch so ausgestattet, dass Material, Unterlagen, Arbeitsinstrumente schnell und gut verfügbar sind. Besprechungsräume sind so ausgestattet, dass sich Informationen schnell teilen lassen und Meinungen gut ausgetauscht werden können. Wieder andere Räume unterstützen kreatives Denken und Innovationen.  

Bei weitem nicht alle Mitarbeiter*innen haben zu Hause einen adäquaten Arbeitsplatz, an dem sie konzentriert und störungsfrei arbeiten können. Küchentisch oder Sofa? Am Tisch im Kinderzimmer oder unbequem und dafür ungestört im Schlafzimmer? Wir haben viele betriebliche Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsschutz sowie zu Datensicherheit und Datenschutz – und das soll nun plötzlich nicht mehr relevant sein?

Behauptung 2: Homeoffice macht zufrieden

Check: Es ist offensichtlich so, dass diese Behauptung nicht für alle Mitarbeiter*innen gilt. Nach einer Forsa-Umfrage (15.04.2021) klagt mehr als jede*r dritte Arbeitsnehmer*in (36%) im Homeoffice über gesundheitliche Probleme wegen eines schlechten Arbeitsplatzes. Es treten überwiegend Verspannungen sowie Rücken- und Kopfschmerzen auf. Außerdem wurden eine fehlende oder unzulängliche Arbeitsausstattung bemängelt (34%) wie ein zu kleiner Bildschirm oder ein schlechtes Internet. Und als Drittes stellten 32% der Befragten fest, dass sie länger oder zu für sie untypischen Zeiten – am Abend oder am Wochenende – arbeiten.

Als größeres Problem wurden Störungen durch die Wohnsituation oder den Familienalltag benannt. Und immer noch 23% der Befragten fehlt die Aufmerksamkeit durch die/den Chef*in.

Behauptung 3: Führung lässt sich einfach auf den virtuellen Raum übertragen

Check: Es scheint als hätten die Führungskräfte in vielen Organisationen den Sprung in die virtuelle Welt gut hingekriegt. Doch der Eindruck täuscht. Führung im Homeoffice findet unter deutlich veränderten Bedingungen statt: remote erleben wir nicht die umfassende Kommunikation aus gesprochenem Wort, Mimik und Körpersprache. Der spontane Austausch wird an der Hemmschwelle, die ein Anruf für beide Seiten bedeutet, gebremst. Konflikte – persönlich oder fachlich – können ignoriert oder verschoben werden, weil sie remote leichter zu ertragen sind, dennoch sinken Motivation und Engagement. Und nicht zuletzt fühlen viele Beschäftigte sich auf sich gestellt – was häufig zu Arbeiten nach Vorschrift führt.

Führungskräfte müssen unter erschwerten Bedingungen die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter*innen im Auge behalten, Arbeitsergebnisse sicherstellen und ihre Leistung bewerten. Sie brauchen für remote leadership eine Erweiterung im Selbstverständnis, eine erhöhte Achtsamkeit für die einzelnen Mitarbeiter*innen und eine professionelle Kreativität bei der Entwicklung von Angeboten zu Austausch und Kontakt.

Behauptung 4: Gute Teams funktionieren auch remote

Check: Ja, das tun sie. Der erste Lockdown hat gezeigt, dass gute Teams den Wechsel mit ein paar Anpassungsmaßnahmen gut weggesteckt haben. Er hat auch gezeigt, dass schwache Teams noch schwächer wurden. Der Hintergrund dafür scheint die Vertrauensbasis zu sein, auf der die Teammitglieder sich begegnen. Ohne Vertrauen wird ein Kontakt schnell als Kontrolle verstanden oder der virtuelle Blick ins private Wohnzimmer als Indiskretion. Und deshalb wird die Kamera ausgeschaltet, die neben dem Mikro eine weitere Ebene der Kommunikation ermöglichen könnte.

Damit Vertrauen wachsen kann, brauchen Menschen Begegnung mit allen Sinnen und direkten Austausch. Wer in der Corona-Zeit den Arbeitsplatz gewechselt hat, kann bestätigen, was die Forschung schon länger zeigt: betriebliche Sozialisation findet auf zwei verschiedenen Ebenen statt. Während die formale Ebene (Historie und Struktur des Unternehmens, Stellenaufgaben, Abläufe, Zuständigkeiten…) auch schriftlich oder digital vermittelbar ist, ist das bei der sozialen Ebene (Werte, Kultur, informelle Arbeitsbeziehungen…) nur mit deutlichen Einschränkungen möglich. Sie muss erlebt und kann kaum vermittelt werden. Das digitale Onboarding in ein Team hat enge Grenzen. Neue Mitarbeiter*innen brauchen eine besondere Aufmerksamkeit und bewusst gestaltete Formate für Begegnung und Interaktion, um Anschluss ans Team zu erhalten.

Behauptung 5: Homeoffice verbessert das Employer Branding

Check: Mittlerweile ist klar, dass Homeoffice weder jede*n gleichermaßen glücklich macht noch die beste Form für Kooperation und Kreativität ist. Die Bewegung hin zu mehr Homeoffice geht ja auch durch viele Organisationen und ist kein Alleinstellungsmerkmal.

Mitarbeiter*innen gewinnt und bindet man durch ein gutes Gesamtangebot, in dem Homeoffice, aber auch Team, Führung und Kultur eine Rolle spielen.

Meine Empfehlung: Schicken Sie Ihre wertvollste Ressource nicht einfach zum Arbeiten nach Hause. Schauen Sie genau hin: Homeoffice ist eine Arbeitsform, in der viele Aufgaben gut und effizient erfüllt werden können, es ist eine Form, die der Alltagsgestaltung vieler Mitarbeiter*innen entgegenkommt und ihre Motivation erhöht. Die Gunst der Stunde für Veränderungen wird jedoch erst dann genutzt, wenn man differenzierte Lösungen entwickelt, die betriebliche, persönliche und wirtschaftliche Erfordernisse verbinden.

Birgit Nawrath

Birgit Nawrath

Beraterin, Trainerin und Coach.

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