Attraktivität und Bindungswirksamkeit

In diesem Interview zum internen Entwicklungsprozess der „Hauptabteilung Information, Dokumentation und Archive“ (IDA) des Südwestrundfunks (SWR) wird erkenntlich, dass der von CONTRACT begleitete Veränderungsprozess sich auch auf die Themen attraktive Arbeit und Bindungswirksamkeit auswirkt.
Die Auseinandersetzung mit attraktiver Arbeit und Bindungswirksamkeit sowie deren Entstehung spielt für Organisationen eine immer größer werdende Rolle. In diesem Interview zum internen Entwicklungsprozess der „Hauptabteilung Information, Dokumentation und Archive“ (IDA) des Südwestrundfunks (SWR) wird erörtert, wie hier ein neuer Weg beschritten wurde. Im Gespräch wird erkenntlich, dass der von CONTRACT begleitete Veränderungsprozess sich auch auf die Themen attraktive Arbeit und Bindungswirksamkeit auswirkt.
Eva Wohlgemuth arbeitet bereits seit 1989 im Musikarchiv des SWR und gehört zu den ersten Projektmitgliedern, die sich 2019 mit der Veränderung der organisationalen Strukturen beschäftigt haben. Mittlerweile ist sie auch Agile Coach in der Hauptabteilung IDA (Information, Dokumentation und Archive).
Christina Bouché kam 2007 zum SWR und trat wie Eva Wohlgemuth bereits 2019 in die Projektgruppe ein. Auch sie ist zusätzlich als Agile Coach tätig.

Mit welcher Motivation seid ihr in den Veränderungsprozess gegangen?

Christina:
Ich hatte einfach Lust auf Veränderung. Die damals vorherrschende hierarchische Struktur war recht strikt. Ich für meinen Teil bin ein Freigeist, eine veränderungsbereite Persönlichkeit, und empfand die Strukturen daher als hemmend für meine Arbeit. Die Vorstellung, etwas Neues anzustoßen, hat mich sehr gereizt.

Was hat das Projekt ausgezeichnet?

Eva:
Die Besonderheit zeigte sich schon im Entstehungsprozess des Projektes.
Das Projektteam bestand ausschließlich aus Mitarbeitenden. Führungskräfte waren keine im Team. Diese waren durch Feedbackschleifen auch in den Prozess eingebunden (sog. „Sounding Boards“), doch die kreative Arbeit – Brainstorming, Ausarbeitung und alles, was dazu gehört – kam von den Mitarbeitenden selbst.

 

Tatsächlich wurden am Ende des Prozesses die Verträge der Führungskräfte gekündigt, und sie konnten sich auf die neu ausgeschriebenen Rollen bewerben. Das war neu. Wir hatten gesetzte Ziele, einen Auftrag und Rahmenbedingungen, doch innerhalb dessen war viel Spielraum. Dadurch wurden wir angeregt, um die Ecke zu denken. Wir waren einfach imstande, frei zu arbeiten.

Christina:
Ein Vorteil des Projektes bestand in der Diversität der Gruppe hinsichtlich des Alters, des Geschlechts und der Erfahrung der Mitglieder. Jeder und jede wurde ernst genommen, was das Arbeitsklima positiv beeinflusst hat. Auch das „Sounding Board“ und die Hauptabteilungsleitung waren im Prozess sehr aktiv.

Was waren die wichtigsten Entscheidungen mit Blick auf die Gestaltung eurer Arbeit?

Christina:
Die wichtigste Änderung für mich ist das standortfreie Arbeiten. Vor dem Change hatten wir viele Teams mit gleichen Schwerpunkten an unterschiedlichen Standorten, mittlerweile arbeiten wir standortübergreifend. Wir finden Wege, wie wir Themen und Projekte gemeinsam bearbeiten können.
Der zweite Punkt, der in meinen Augen eine große Rolle spielt, ist das Aufbrechen der Hierarchien. Wo eine fachliche Entscheidung früher „von oben“ vorgegeben wurde, wird sie nun gemeinsam im Team diskutiert und beschlossen. Führungskräfte sollen im Sinne von New Work eher als Coach und Entwickler ihrer Teams gesehen werden.
Eva:
Ich persönlich finde die kulturelle Veränderung ganz maßgeblich. Wir haben begonnen, Feedback als Werkzeug der Zusammenarbeit zu implementieren. Außerdem bieten wir verschiedene agile Methoden für die Teams an (wie Retrospektiven, Priorisierung etc). Und nicht zuletzt steht das ständige Bemühen, Mitarbeitende in die Selbstverantwortung zu bringen. Zu Beginn solcher Veränderungen ist es enorm wichtig, immer wieder auch am System zu arbeiten, damit es nicht bei Konzepten und Prozessideen bleibt, sondern diese direkt in die Umsetzung kommen. Es braucht auch jemanden, der täglichen Arbeit, aber auch bei Prozessen und Entscheidungen immer wieder Impulse gibt, neu zu denken. Denn alte Strukturen und Muster sind sehr stark verankert und es ist nicht leicht, dagegenzuhalten.

Merkt ihr jetzt nach dem Entwicklungsprozess, dass Mitarbeiterbindung für euch oder für andere in der Organisation etwas anderes bedeutet?

Eva:
Ich kann für mich sagen, dass ich nach wie vor sehr gerne bei der IDA arbeite. Seit ich hier angefangen habe, hat sich viel verändert. Es ist großartig, wie vielen verschiedenen Tätigkeiten ich jetzt nachgehen kann. Commitment gegenüber der Organisation war für mich schon immer relevant, und ist es jetzt umso mehr.
Für andere zu sprechen, fällt mir allerdings schwer. Die Meinungen diesbezüglich gehen auseinander. Es gibt Menschen, die dem Ganzen sehr positiv gegenüberstehen, da sie mehr Raum für persönliche Entwicklung sehen, Verschiedenes ausprobieren und sich verändern können. Genauso gibt es jedoch Mitarbeitende, die eher skeptisch auf den Prozess blicken.
Christina:
Die Frage ist wirklich schwer zu beantworten, da viele Mitarbeitende schon mehr als fünf, zehn oder zwanzig Jahre bei uns in der Hauptabteilung arbeiten. Da gibt es schon eine Bindung – und zwar zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich für diese Arbeit entschieden haben, sehen darin bereits einen Sinn und fühlen sich zugehörig. Dementsprechend ist das bei uns nicht einfach zu beantworten.

Hat der Entwicklungsprozess zu neuen Facetten in der Attraktivität eurer Arbeit geführt?

Eva:
Bei mir auf jeden Fall. Viele Kompetenzen, die ich persönlich schon immer an mir und anderen geschätzt habe, kann ich jetzt ganz anders umsetzen als früher. Dadurch fühle ich mich selbstwirksamer. Stärken, die ich mitbringe, kann ich an vielen Stellen in der Hauptabteilung und vielleicht sogar darüber hinaus einbringen. Das empfinde ich persönlich als sehr befriedigend.
Christina:
Wer möchte, hat jetzt größere Entwicklungsmöglichkeiten als vorher. Mich überzeugt schon die Tatsache, dass es statt der klassischen Karriereleiter nun Angebote für individuelle Fachkarrieren und Talententwicklungen gibt. Dort kann man verschiedene Soft Skills verbessern und dadurch weiterkommen. Früher gab es nur die Möglichkeit, „Chef“ zu werden oder auf eine höhere Ebene befördert zu werden.
Mittlerweile ist es so, dass man immer wieder verschiedene Angebote bekommt, sich zu engagieren. Dabei kann man sich mit Motivationsschreiben auf Projekte bewerben – so wie damals beim Start des Veränderungsprojekts. Dies bietet mehr und diversere Möglichkeiten zur persönlichen und fachlichen Entwicklung.

Inwiefern seid ihr heute attraktiver, werdet anders gesehen oder angesprochen, als das früher der Fall war?

Eva:
Durch neue Dienstleistungen haben sich die Anfragen in den letzten ein bis zwei Jahren massiv geändert. Auch der gemeinsame Desk „IDA 31313“ hat auf uns als Marke einen starken Einfluss genommen. Wenn ich unterwegs bin, höre ich des Öfteren Kommentare wie: „Ah ja, von eurem Prozess habe ich schon gehört“ oder „Wenn du Zeit findest, mehr über den Prozess zu erzählen, würde ich mich freuen!“. Dieses Interesse habe ich in meinem Umfeld deutlich gespürt und darüber freue ich mich auch.
Christina:
In unserer Attraktivität und unserem Ansehen hat sich definitiv etwas getan. Wir haben uns vom angestaubten Archiv zum Vorreiter in New Work entwickelt.

Wie wirkt euer Veränderungsprozess nach außen, vor allem auf neue Mitarbeitende?

Eva:
Es gibt für die neuen Volontäre immer einen Archivtag, wenn sie bei uns anfangen. Da werden an einem ganzen Tag lang die Angebote der IDA vorgestellt. Wenn ich bei einem solchen Tag dabei bin, habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass noch jemand an etwas Angestaubtes denkt. Das hat sich auf jeden Fall zum Positiven verändert.
 

Gibt es noch etwas, was ihr zu Bindung, Attraktivität oder der Wirkung eures Entwicklungsprozesses sagen wollt?

Eva:
Ich möchte die Relevanz von Transparenz in solchen Zeiten der Veränderung nochmal betonen. Diese hat im gesamten Prozess eine große Rolle gespielt.
Corona kam uns dabei tatsächlich entgegen, da uns keine Wahl gelassen wurde und wir alles schnell auf MS Teams umstellen mussten. Dort sind die Teamkanäle transparent, jeder hat Zugriff auf Agenda und Protokolle aller Gremien. Ich glaube, dass Transparenz wirklich eine hohe Bedeutung hat, derer wir uns häufig nicht bewusst sind.
Christina:
Corona hat uns tatsächlich in die Karten gespielt. Die ganze Organisation musste sich verändern und dann kam unser Change noch dazu. Wir waren ohnehin schon im Modus der Veränderung.
Dadurch war es uns auch möglich, bereichsübergreifende Veranstaltungen anzubieten, und somit mehr Menschen gleichzeitig zu erreichen. So konnten viel mehr Menschen mit ins Boot geholt werden.
 
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt und uns aus eurem spannenden Prozess erzählt habt!

Wenn Sie mehr über den damaligen Veränderungsprozess erfahren wollen, lesen Sie gerne den Beitrag von Bettina Demmer „SWR – Ein Medienunternehmen auf dem Weg zur multimedialen Marke“ 

Simon Pfersdorf

Berater, Trainer und Coach.

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