Neue Arbeitswelt in Non-Profit-Organisationen?
Der Megatrend New Work beschreibt und bewertet die Arbeit neu. Die traditionellen Vorstellungen von Karriere und Erfolg treten zurück, in den Vordergrund treten die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Tuns, individuelle (Mit-)Gestaltungsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Frage nach dem Sinn ist in den meisten Non-Profit-Organisationen schnell beantwortet, auch Formate zur Mitgestaltung und Mitverantwortung lassen sich entwickeln und umsetzen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben aus Sicht des Individuums und den Bedarfen der Organisation, damit „der Laden läuft“ ist eine große Herausforderung und ein 24-7-Schichtsystem eine Rahmenbedingung, die es zunächst erschwert.
Flexible Arbeitszeiten gibt es nur nach Plan und auch die geplante freie Zeit wird häufig angeknabbert, weil man einspringen muss für eine*n erkrankte*n oder verhinderte*n Kolleg*in. Das macht es den Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen nicht leicht, ein moderner Arbeitgeber zu sein. Gute Softwareprogramme erleichtern zwar die Planung, doch die Notwendigkeit, den Bedarf in eine Einrichtung für betreuungs- und pflegebedürftige Menschen komplett abzudecken, bleibt.
Wie kann ein Dienstplan dennoch attraktiv gestaltet werden?
Vor dieser Herausforderung standen wir Im Kontext einer Organisationentwicklung einer Pflegereinrichtung mit einem 24-7-Schichtsystem. Wir konnten sehr schnell erkennen, dass die verantwortlichen Dienstplanerinnen enorm angespannt waren. Sie arbeiteten in einem Spannungsfeld, das durch folgende Faktoren charakterisiert war:
- permanente Erreichbarkeit für die Kolleg*innen, um möglichst schnell sich abzeichnende Einsatzlücken erkennen zu können,
- hohe organisatorische Anforderungen verbunden mit beeindruckender Kenntnis der privaten Lebensumstände und individuellen Vorlieben im Team,
- extreme Zugewandtheit, sowohl gegenüber den Kolleg*innen, deren Wünsche sie gerne erfüllen wollen, um ihnen die Arbeit möglichst angenehm zu machen als auch gegenüber den Betreuungs- und Pflegebedürftigen.
Auf den ersten Blick schien die Dienstplangestaltung eine unlösbare Aufgabe zu sein – jede Lösung schien wieder neue Unzufriedenheit und neuen Bedarf zu wecken.
Das System kennt die Lösung
Unsere Erfahrung in ähnlichen Projekten hat uns gelehrt, dass die Lösung für solche Probleme weder in der Theorie noch in einer passenden Software liegen, sondern darin, das Wissen und die Selbstexpertise im System nutzbar zu machen und eine gemeinsame Lösung zu finden, die die Beteiligten mittragen und in ihren Prinzipien festhalten. Und eine passende Software sollte unbedingt genutzt werden.
Diesem Gedanken folgend wurde ein Projektteam etabliert, das aus Mitarbeiter*innen und Führungskräften bestand. Die Aufgabe lautete, einen attraktiven Dienstplan zu entwickeln. Für die Überlegungen dieser Gruppe gab es keine Tabus. Soll es für Tag- und Nachtdienst verschiedene Teams geben oder soll jede*r auch an den Nachtdiensten beteiligt werden? Sollten die Arbeitszeit-Verträge standardisiert werden, z.B. nur 100%, 75%, 50% und 25%, damit der Dienstplan weniger komplex ist? Wie sieht es mit Springern aus und wie viele können wir uns leisten? Muss jede*r überall einsatzfähig sein? Kann man bei der Übergabe Zeit sparen, ohne Qualität zu verlieren?
Es entstanden verschiedene Szenarien, die durchgerechnet und durchkalkuliert wurden. Vor allem aber wurden die beiden Favoriten in einem großen Kreis interessierter Kolleg*innen diskutiert und quergebürstet.
Erfolgsfaktoren für den Dienstplan, der am Ende gefunden wurde, waren unter anderem:
- eine gute Balance zwischen langfristiger Planung und kurzfristigen Anpassungen, also ausreichend viel Stabilität und genug Flexibilität,
- möglichst konstante Arbeitseinsatzbereiche, da die Mitarbeiter*innen nach dem Konzept der Bezugsbetreuung arbeiten,
- Fluktuation und Krankenstand sind niedrig,
- große Planungssicherheit, d.h. zwischen der Dienstplanerstellung und der Umsetzung der Dienste muss nicht viel nachjustiert werden,
- Sicherheit der Freizeiten der Mitarbeiter*innen, sie müssen nicht regelmäßig befürchten, einen Anruf für eine Krankheitsvertretung zu erhalten
Alle Stellhebel in den Blick nehmen
Dienstplanausgestaltung ist ein ganzheitliches Thema von Struktur und Prozessen, Führung und Organisationskultur, sowie Befähigung und Weiterbildung der Mitarbeitenden. Sehr frühzeitig wurden bei der Entwicklung möglichst viele Beteiligte einbezogen und gehört, Tag- und Nachtschicht, Betriebsrat, Führungskräfte und Dienstleister.
Es wurde eine Analyse des gesamten Tagesablaufes durchgeführt. Dabei gab es Erkenntnisse über einen schwankenden Personalbedarf innerhalb der Schichten, was wiederum eine flexiblere Gestaltung ermöglichte. Weitere Entlastungsmöglichkeiten wurden gefunden, indem Betreuungsgruppen mit ähnlichem Bedarf zu bestimmten Zeiten zusammengelegt wurden und indem kreative Angebote mehrfach und in unterschiedlichen Gruppierungen eingesetzt wurden.
Nicht zuletzt braucht die Neugestaltung von Prozessen und Übergängen zwischen den Schichten und Gruppen Freiräume, die z.B. für direkte Kommunikation, professionellen Austausch und konzeptorientierte Entwicklungen genutzt werden können.
Planung mit Verantwortungskultur verbinden
Die Dienstplangestaltung wirft sehr schnell und oft auch sehr heftig die Frage nach Gerechtigkeit und Objektivität auf. Wo eigentlich pragmatische Lösungen gebraucht werden, entstehen Dilemmata auf unterschiedlichen Werteebenen: Warum darf sie, was ich nicht darf? Wieso hat seine Kinderbetreuung Vorrang vor meiner Physiotherapie?
Die Antworten heißen Transparenz, Kommunikation und Verstehen-Wollen.
Es zeigt sich, dass nicht nur auf der Ebene der operativen Dienstplangestaltung Lösungen gefunden wurden. Mindestens ebenso relevant waren Erkenntnisse zur Zusammenarbeit und zur Kultur der gemeinsamen Verantwortung.
Im Überblick lassen sich diese Erkenntnisse folgendermaßen zusammenfassen:
- Der Dienstplan und seine Logik ist eine Sache, die Ausgestaltung und Umsetzung eine völlig andere.
- Dienstplangestaltung ist gleichzeitig Führungsaufgabe UND Teamverantwortung.
- Die Zusammenarbeitskultur spielt eine wichtige Rolle in der Besetzung der Dienstpläne.
- Das Team sollte aus Teil- und Kernteammitgliedern bestehen.
- Je flexibler die Mitarbeitenden einsetzbar sind, umso attraktiver und auch leichter können die Pläne befüllt werden.
- Individuelle Teilzeitregelungen sind für den einzelnen Mitarbeiter attraktiv, jedoch ist eine zu große Diversität eine Herausforderung für die Organisation. Das Spannungsfeld zwischen Individuallösung und Systemlösung muss immer wieder neu gestaltet werden. Die entsprechende Kultur muss entwickelt und gepflegt werden.
- Flexibilisierungen sind in den jeweiligen Gruppen und Bereichen übergreifende im Kontext mit den Tagesstrukturanforderungen gestaltbar.
- Für die Kulturgestaltung sind Übergangszeiten und deren Nutzen transparent eingeplant.
Die Organisation hat sich auf einen Prozess des Ausprobierens und des kontinuierlichen Verbesserns und Weiterentwickelns eingelassen. Gestartet wurde mit einem Informations- und Kommunikations-Rollout, der alle beteiligten Personen, auch die Schnittstellen, einbezog. Das vielversprechendste Szenario wurde eingeführt und mit der Einführung war schon klar, zu welchem Zeitpunkt eine Evaluation erfolgen soll.