Neuausrichtung durch gemeinsame Führung: Eine Transformationsreise im Beratungszentrum

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1. Ausgangssituation

Das Beratungszentrum hat eine schwierige Zeit hinter sich. Nachdem der langjährige Leiter, der das Haus über Jahre durch Wohlwollen, Freundlichkeit und „Das kriegen-wir-schon-hin“-Mentalität geprägt hat, in den Ruhestand getreten war, kam eine Nachfolge, die die Erfolge in erster Linie durch eine betriebswirtschaftliche Orientierung prägen wollte. Es hatte keine ordentliche Übergabe stattgefunden, so dass die Bereichsleiter*innen Stück für Stück die Einarbeitung ihrer neuen Leitung übernehmen mussten. Es fehlte dieser Leitung außerdem an fachlichem Know-how für Therapie und Beratung, wodurch das Gleichgewicht der Verantwortlichkeiten immer mehr aus der Balance geriet. Die sechs Bereichsleiter*innen zogen die Reißleine und legten ihre Verantwortung nieder. Daraufhin berief der Vorstand die Leitung ab und die Bereichsleiter*innen kamen wieder an Bord.

Schon unter der alten Zentrumsleitung hatte sich gezeigt, dass Aufgabenbereiche nicht gut definiert waren, Zuständigkeiten und Befugnisse waren nicht eindeutig, die Strukturen hatten sich jeweils neu ergeben. Die leitungsfreie Zeit wurde vom Vorstand in Zusammenarbeit mit den Bereichsleiter*innen genutzt, um die Zentrumsstruktur sowie die formalen Verantwortlichkeiten nachzuschärfen. Das neue Leitungsmodell sieht eine „gemeinsame Führung“ vor. Das Ausschreibungsprofil für die Leitungsstelle wurde stark auf den neuen Bedarf ausgerichtet.

Bis eine neue Verantwortungsperson gefunden wurde, haben die Bereichsleiter*innen das Zentrum in eigener Regie weitergeführt. Dieser Umstand verschärfte das Dauerproblem, das sich bereits länger abgezeichnet hatte: Die Bereichsleiter*innen gestalteten ihre Bereiche nach wie vor autonom und verantwortungsvoll, sahen sich jedoch nicht (mit-)verantwortlich für die Entwicklung des Gesamtzentrums. Auf diese Weise wurde eine moderne, klientenzentrierte Beratungsarbeit ausgebremst, die die Bedürfnisse der Beratungsperson in den Mittelpunkt stellt.

Die nächste Leitung des Hauses scheint ein Glückgriff zu sein. Sie bringt Erfahrung in der Beratung sowie den Willen zu steuern und zu gestalten mit.

2. Die Herausforderung

Der erreichte Status erzielt insgesamt eine nur mittelmäßige Zufriedenheit. Die Bereichsleiterinnen fühlen sich alleingelassen und ausgepowert. Nach der für sie anstrengenden führungslosen Zeit, sehnen sie sich zurück nach dem alten, früheren Zustand. Dieser entspricht allerdings weder den Anforderungen moderner Beratungsarbeit noch dem eigenen Anspruch an „gemeinsame Leitung“. Die neue Leitung braucht noch Zeit zur Einarbeitung in ihren neuen Verantwortungsbereich. Parallel zur Zentrumsleitung führt sie kommissarisch einen ganzen Bereich und springt immer wieder ein, wenn Beraterinnen ausfallen.

Aus Perspektive der CONTRACT-Beraterin birgt die Situation folgende Herausforderungen:

  • Das anfordernde operative Beratungsgeschäft ist Vorwand dafür, sich nicht um strategische oder strukturelle Themen zu kümmern.
  • Die Bereichsleitungen fordern eine deutliche Entlastung und ziehen sich in vertraute Strukturen und vertrautes Verhalten zurück.
  • Die Zentrumsleiterin will ihre Beratungskompetenz unter Beweis stellen und wird zum „Retter“ bei Personalausfällen.
  • Insgesamt wird mit viel Anstrengung ein System am Laufen gehalten, das aufgrund seiner Vertrautheit Sicherheit verspricht. Gleichzeitig wird dadurch die Entstehung eines gemeinsamen neuen Spirits und auch die Weiterentwicklung verhindert.

3. So konnte CONTRACT unterstützen

Was haben wir gemacht? – Es gab drei Workshops mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten und einem gemeinsamen Ziel, nämlich die Verantwortlichen miteinander ins Gespräch zu bringen und zu öffnen für weitere Entwicklungen.

Der erste Workshop stand unter der Überschrift „Klarheit in Rolle und Haltung“. Bei der Erwartungsklärung wurden vielfach Begriffe wie Klarheit, Klärung, konkrete Ergebnisse genannt, und schnell kristallisierte sich als zentrales Thema dieses Workshops heraus, dass eine Verständigung über die Zuständigkeit und Verantwortung der Gesamtleitung und der Bereichsleitungen unbedingt nötig ist. In den folgenden Analyseschritten wurde deutlich, dass es eine recht klare Vorstellung bzgl. der Verantwortungsthemen der Gesamtleitung gibt. Die Bereichsleitungen zeigten sich jedoch zögerlich, konkrete Zuständigkeiten zu übernehmen. Der Workshop endete mit einer Liste von Verständnislücken, die bis zum nächsten Workshop geklärt werden sollen.

Der zweite Workshop, der zwei Monate später stattfand, widmete sich dem gemeinsamen Führungsverständnis. Jede der anwesenden Führungskräfte war bereit, in die intensive Führung ihrer Mitarbeiterinnen zu gehen, sie zu fördern und zu fordern. Diesbezüglich bestand ein gemeinsames Verständnis. Allen war ebenfalls bewusst, gemeinsam ein Team zu bilden, unklar war jedoch, was dieses Team leisten kann und soll oder wie sich das (Führungs-)Verhältnis zwischen Bereichsleiterinnen und der Gesamtleitung gestalten soll. Das Stichwort „selbstorganisierte Teams“ war im Raum, aber wurde als Worthülse wieder verworfen. Doch wurde dadurch der Fokus auf die Mitarbeiterschaft gelenkt.

Die Leitungen erkannten, dass die Mitarbeiterinnen ebenso unter der wenig definierten und unsicheren Situation leiden wie sie selbst. Mit Blick darauf wurde deutlich, wie nötig ein Zusammenwachsen aller im großen Team und ein Zusammenwachsen der Leitungspersonen im Leitungsteam ist, damit endlich wieder ein „WIR“ entstehen und gefühlt werden kann. Die Aufgabe des Leitungsteams besteht darin, Ruhe, Sicherheit, Zuversicht und Konstanz herzustellen und zu vermitteln. Dazu gehört auch, zeitnah Informationen zum Führungsmodell zu geben – das allerdings zum damaligen Zeitpunkt noch entwickelt werden musste.

Die Vereinbarungen am Ende dieses Workshops bezogen sich daher auf die Konkretisierung des Führungsmodells sowie auf Formate zur rechtzeitigen Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und die Planung eines Teamtags für die gesamte Mitarbeiterschaft.

Als der dritte Workshop vier Monate später stattfand, war einiges umgesetzt: Es hatte einen erfolgreichen Teamtag im Gesamtteam gegeben, der viele Stärken und Kreativität erkennen ließ und auch einen tollen Betriebsausflug. Das Leitungsteam erlebte sich selbst allerdings als erschöpft, der Workload war nach wie vor hoch, wichtige Themen wurden nach wie vor vertagt, von „Verwaltung des Mangels“ war die Rede. Die Schärfung der Aufgabenteilung zwischen Gesamtleitung und Bereichsleitungen bleibt weiterhin wichtig.

Nach einem Kurzinput zum systemischen Denken durch die Moderatorin wurden Bilder gezeichnet, die die Verbindung zwischen der Gesamtleitung und den Bereichsleitungen sowie die Verknüpfung mit relevanten Umwelten darstellten. In den Bildern zeigte sich, dass einerseits eine sehr zentrale, steuernde und verantwortungsvolle Rolle der Gesamtleitung gewünscht und notwendig ist – in der Darstellung meist eher klein –, dass andererseits die Bereiche sehr groß und wichtig dargestellt wurden. Es wurde anschaulich, dass eine neue Balance gefunden werden muss, damit das Zentrum wieder in seine Stärke zurückfinden kann.

Vereinbarungen dazu, mit welchen Schritten dieser Weg eingeleitet werden kann, schlossen diesen Workshop ab. Die Gesamtleiterin erläuterte noch einmal ihren kooperativen Führungsstil und ihren Willen, die Bereichsleitungen dort zu entlasten, wo es nötig ist.

Aus Beraterperspektive wurden in diesen drei Workshops die Schritte der drei VWs (Verstehen Wollen, Vereinbaren Wollen, Vertrauen Wollen) durchlaufen – vom Verstehen-Wollen über den Willen, sich zu vereinbaren bis zum formulierten Vertrauensangebot. Damit ist eine Grundlage geschaffen, auf der sich in den geplanten Folgeschritten die Mitglieder des Leitungsteams miteinander und mit dem Zentrum neu verbinden können.



Birgit Nawrath

Beraterin, Trainerin und Coach.

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