Hilfe, wie soll ich mich entscheiden?

Keine Generation vorher hatte so viele Möglichkeiten, ihr Leben zu leben, wie die Jungen von heute. Das ist großartig und anstrengend zugleich. Denn wie soll man bei so viel Auswahl überhaupt noch wissen, was man wollen soll?

Ich bin 86er Jahrgang und gehöre damit der „Generation Y“ an. Angeblich steht das Y als Nachfolge für die Generation X. Ich bevorzuge die Erklärung, das Y stünde, Englisch ausgesprochen, für „why?“. Warum?

Weil wir uns ständig fragen müssen, was wir wollen. Häufiger als alle Generationen vor uns.

Keine Generation vor uns hatte mehr zu entscheiden

Denn das größte Dilemma – und vermutlich zugleich meist belächelte Phänomen – unserer Generation, ist die Qual der Wahl. Ein „Luxusproblem“ ganz klar. „Jammern auf hohem Niveau“, sowieso. Schließlich haben wir Jungen (und jung ist man heute viel länger als früher) so viele Möglichkeiten wie keine Generation vor uns. Schon als kleine Kinder hat man uns eingebläut, uns stünde die Welt offen und wir könnten alles erreichen, wenn wir nur wollten.

Ja, die Welt ist heute weitgehend offen – Australien gehört heute genauso in unseren Denkradius wie Bottrop oder London. Auch dadurch sind die Konzepte, unser Leben zu leben, nahezu unendlich geworden. Ob auf dem Land, in der Stadt, in Wanne-Eickel oder Tokio. Ob in Festanstellung, als Freelancer, als Arbeitsloser oder Start-up Gründer. Ob heterosexuell, homosexuell oder polyamor. Ob Karriere oder Familie oder beides…. Wir haben fast immer und fast überall die Wahl.

Warum mehr Auswahl nicht glücklicher macht

Und damit eben auch fast immer und fast überall die Qual. Die Entscheidung, welchen Bachelor-Studiengang ich wählen soll, wird nicht leichter, wenn ich aus 16.000 auswählen muss (pardon: darf). Denn haben wir eine zu große Auswahl, sind wir weniger entscheidungsfreudig, wie auch verschiedene Experimente zum so genannten „Too much choice“ Phänomen zeigen. Entscheiden wir uns für etwas, hadern wir mit der Wahl, schließlich bedeutet die Entscheidung für eine aus 16.000 Möglichkeiten, den Verzicht auf 15.999 andere.

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns für das Beste entschieden haben, sinkt mit der Anzahl der Wahlmöglichkeiten. Und das wiederum verdirbt den Appetit auf unsere Wahl, wie auch ein Marmeladenexperiment der Columbia University in New York zeigte: Menschen wurden Marmeladensorten zum Testen und Kaufen vorgelegt. Hatten sie nur sechs Sorten zur Auswahl, kauften sie viel eher eine Marmelade und bewerteten diese in einer anschließenden Umfrage auch sehr viel besser, als jene Kunden, denen man 25 Sorten vorgelegt hatte. Von diesen kauften weniger ein Glas und bewerteten ihre Wahl anschließend deutlich negativer. Wer die Wahl hat, ist also häufig unzufriedener.

Nun lässt sich Marmelade leider nicht auf das Leben übertragen, denn das Leben ist kein Supermarkt, den man mal eben durch den kleinen Laden an der Ecke ersetzen könnte, wenn einen das Angebot erschlägt. Was kann also helfen, um Entscheidungen im Leben leichter und vor allem zufriedener zu treffen? Vielleicht ja diese Tipps.

Nichts entscheiden wir für immer

Stehen wir vor einer Entscheidung, glauben wir gerne, wenn wir uns jetzt falsch entscheiden, dann war‘s das. Dann sind alle Türen zu – der Zug abgefahren. Nicht auszumalen, was das in Bezug auf die Entscheidung für eine Stadt! einen Job!! einen Partner!!! bedeutet. Je länger wir zögern, desto größer wird die Angst vor der falschen Entscheidung. Völlig zu Unrecht, sagt der amerikanische Psychologe Daniel Gilbert. Die Folgen unserer Entscheidungen sind deutlich kurzlebiger und weniger intensiv, als wir meinen. Wir überschätzten mögliche Konsequenzen erheblich – positive wie negative, so Gilbert. Wirklich zufrieden macht uns nur eins: Uns überhaupt zu entscheiden!

Keine Angst zu entscheiden!

Wir treffen rund 20.000 Entscheidungen. Täglich. Die meisten natürlich unbewusst, weil sie uns leichtfallen. Doch welche Entscheidungen fallen mir leicht und welche schwer? Was ziehe ich heute an, ist zum Beispiel eine meist leichte Entscheidung. Doch warum fällt sie uns manchmal trotzdem schwer? Wichtig ist dann, den Kontext, vor dem wir eine Entscheidung treffen zu kennen und die damit verbundenen Befürchtungen, wenn ich mich falsch entscheide. Will ich mit der Kleidungswahl mir selbst gefallen, oder jemand anderem und was befürchte ich konkret, wenn ich mich „falsch“ anziehe? Ist das wirklich so schlimm?

Oft ist mit einer größeren Entscheidung – wo ziehe ich hin oder soll ich den Job kündigen? – eine konkrete Angst verbunden. Verliere ich meine Freude, wenn ich wegziehe? Sprechen Sie Ihre Freunde an, vermutlich werden sie Ihnen versichern, dass Ihre Freundschaft das schon aushält oder Sie vereinbaren regelmäßige Treffen und Telefonate. Auch das Abwägen der Konsequenzen ist hilfreich: Was, wenn der neue Job nicht besser ist als der alte? Dann fragen Sie sich, ob der aktuelle Job eine echte Alternative ist. Um Gottes willen, nein? Na, dann können Sie den neuen Job doch genauso gut erstmal anfangen – etwas Neues suchen, können Sie immer noch. Immer noch Angst?

Was will ich eigentlich wirklich?

Sich diese Frage mal ehrlich zu stellen, kann Entscheiden erleichtern. Fragen Sie sich also: Was wünsche ich mir jetzt, mittelfristig und langfristig für mein Leben? Für das Jetzt könnte es zum Beispiel ein entspannter Abend sein. Ist das Treffen mit den Ex-Kollegen in der Bar dann wirklich das Richtige? Mittelfristig wünschen Sie sich mehr Zeit für Ihre Familie? Wie entscheiden Sie dann angesichts der angebotenen Zusatzaufgabe von Ihrem Chef? Und langfristig? Wie finden Sie heraus, was Sie da wollen? Setzen Sie am besten Mal die „Alters-Brille“ auf: Stellen Sie sich als alten glücklichen Menschen vor. Was würde dieser glückliche Mensch sagen, womit er die meiste Zeit seines Lebens verbracht haben? Vermutlich wird die Antwort nicht lauten: „Mit meinem Job“. Wer weiß, was er will, hat vieles schon entschieden.

Nur Entscheidungen bringen uns voran

Stellen Sie es sich mal bildlich vor: Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, rammen wir einen Wegweiser in die Erde und folgen diesem dann. Wer entscheidet, bringt also Richtung in sein Leben und erschließt neue Wege. Wer sich dagegen nicht entscheidet, tritt auf der Stelle und kann nicht vorwärtsgehen. Manchmal hilft dieses Bild, um einfach mal loszulaufen. Wenn es falsch war, findet man schon einen anderen Weg. Selten im Leben verirren wir uns auf ewig.

Entscheide öfter für „Ja!“

Es gibt das Phänomen, dass Menschen, die weniger Mittel und Wahlfreiheiten haben, oftmals glücklicher sind. Denn wir machen erst dann das Beste aus einer Situation, wenn wir sie nicht ändern können, sprich sie akzeptieren müssen. In einer Gesellschaft voller Optionen und voller „schneller“, „besser“, „schöner“, „erfolgreicher“ ist das natürlich eher schwierig. Wer sagt mir, dass mein aktueller Partner der Richtige ist, wenn ich dank Internet die Chance auf 1000 weitere Singles habe? Doch solange wir so denken, werden wir niemals mit einer Entscheidung zufrieden sein.

Daher sollten wir öfter „Ja“ sagen. „Ja“ zu unserem Partner, „ja“ zu unserem Job, „ja“ zu jeder einzelnen unserer Entscheidungen. Und damit „Nein“ zu allen Alternativen. Wem das zu absolut ist, kann es auch erstmal auf Zeit tun: Sagen Sie „ja“ zu Ihrem Job für die nächsten zwei Jahre. Danach entscheiden Sie neu. Doch nur durch ein ehrliches „Ja“ können wir uns auch wirklich auf Dinge einlassen. Wenn wir aufhören, auf die Alternativen zu schielen, können wir bei dem was wir haben, den Fokus auf das Schöne setzen.

Manchmal gewinnt man, immer lernt man

Vielleicht hilft auch die Erkenntnis, dass es keine Entscheidungen für die Katz‘ gibt. Selbst wenn sich eine Entscheidung als falsch erweist, so geht man am Ende vielleicht nicht glücklicher aber auf jeden Fall weiser daraus hervor. Unternehmen machen daraus mittlerweile sogar richtige Events – so genannte Fuck up Nights. Dort wird über nichts anderes gesprochen als darüber, wie sie gescheitert sind – und was sie daraus gelernt haben. Denn aus nichts ziehen wir so viel wie aus Fehlern. Oder wie James Joyce es formulierte: „Ein Genie macht keine Fehler. Seine Irrtümer sind Tore zu neuen Entdeckungen.“

Der Bauch hat längst entschieden

Werfen Sie eine Münze! Denn das Phänomenale am Münzenwerfen ist: noch während die Münze in der Luft ist, wissen wir meist schon, auf welche Seite sie bitte landen soll. Das sagt uns unser Bauch. Oder unser Herz. Oder wer auch immer bei Ihnen den Ton angibt, wenn der Kopf ratlos ist. Und auf diese anderen Entscheider zu hören, ist sinnvoll – auch bei komplexen Entscheidungen. „Studien zeigen, dass das Unbewusste gerade dann dem Verstand überlegen ist und zur besseren Wahl kommt“, so der Psychologe Bas Kast, der das Buch „Ich weiß nicht, was ich wollen soll“ geschrieben hat. Evolution, Sozialisation und persönliche Erfahrungen haben uns Entscheidungs-Muster gelehrt, die stets unterbewusst mitlaufen, wenn wir vor einer neuen Entscheidung stehen. Dieses erfahrene Gut, sollten wir öfter mal anzapfen – vor allem dann, wenn der Verstand mit seinen Pro- und Kontralisten nicht weiterkommt.

Grenze die Entscheidungsmöglichkeiten ein

Wie eingangs geschrieben, grenzt unserer Entscheidungsfreudigkeit nichts so sehr ein wie die unbegrenzte Auswahl. Da hilft nur: Künstliche Verknappung. Legen Sie Auswahlkriterien fest und limitieren Sie damit das Angebot. Was sind Ihnen die drei wichtigsten Eigenschaften für einen Job? Für den nächsten Urlaubsort? Für den Kauf von Lebensmitteln? Huch… da bleibt plötzlich gar nicht mehr so viel übrig!

Wie würden Sie für jemand anderes entscheiden?

Stellen Sie sich vor, die Entscheidung müssten nicht Sie, sondern Ihr bester Freund fällen. Was würden Sie ihm raten? Oft macht dieser Perspektivwechsel die Antwort glasklar.

Sie können Ihre Freunde auch fragen, wie Sie entscheiden sollen. Außenstehende haben meist einen nüchterneren Blick, der helfen kann, wenn wir vor lauter „nicht—wissen-was-wir-wollen-sollen“ schon ganz eingenebelt sind. Andere haben einen unverstellten Blick darauf, was wir gut können und was weniger. Und sie sehen oftmals Dinge, die wir uns selbst nicht eingestehen. Ein guter Freund würde vielleicht erkennen, dass wir einen Job nur machen, weil wir unseren Eltern gefallen wollen und nicht, weil wir ihn gut können, geschweige denn gerne machen.

Nichts ist nachtragender als der Gedanke, es nicht versucht zu haben

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, sagte Erich Kästner. Recht hat er. Einfach mal machen. Denn machen ist wie wollen, nur krasser. Durch präzises Abwägen von Argumenten werden Sie nicht mal annähernd an das Gefühl rankommen, das sich einstellen würde, wenn Sie sich für eine Sache entscheiden. Woher sollten Sie auch wissen, wie es ist, in einer anderen Stadt zu leben, bevor Sie es nicht getan haben? Probieren Sie es also einfach mal aus: Die nächsten Ferien verbringen Sie nicht in der Toskana, sondern zwei Wochen in Esslingen. Das wird Sie der Wahrheit auf jeden Fall näherbringen, als eine meterlange Pro- und Kontraliste. Und Sie können hinterher sagen: „Ich hab’s wenigstens versucht“.

Autorin: Mirja Tekaat

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