09.10.2017
Die Führungskraft als Knowhow-Träger und alleinige Entscheidungskompetenz mit Mitarbeitern, die rein nach Anweisungen handeln – das war vorgestern. Heute heißt es: lasst uns agiler werden! Bedeutet das das Ende von Führung?
„Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“, eine Frage, die jeder kennt. Doch kann diese heute überhaupt noch so einfach beantwortet werden? Wir sind umgeben von rasanten Veränderungen, Transformationen und „moving targets“, die teilweise so schnell kommen und gehen, dass es einem kaum möglich ist, rechtzeitig zu reagieren – geschweige denn Fünfjahresprognosen abzugeben. In diesem Kontext fallen häufig agiles Arbeiten und New Work als mögliche Antworten.
Start-Ups und junge Unternehmen dienen dabei als Vorbild: Den Kunden immer im Blick, um schnell auf veränderte Bedürfnisse reagieren zu können; vernetzte Teams, die crossfunktional arbeiten und aus unterschiedlichsten Perspektiven die Herausforderungen angehen; selbstverantwortliche und eigenständige Mitarbeiter, die individuelle Lösungen finden und Entscheidungen treffen – auch um Arbeit und Privatleben zu vereinbaren. Und das sind nur einige Beispiele für agiles Arbeiten in New Work-Kultur.
Agiles Arbeiten fängt mit agilem Arbeiten an
Einzelne tradierte Unternehmen öffnen daher ihre Tore, um frischen Wind aus diesen jungen Unternehmen hineinwehen zu lassen. Doch mit ein bisschen Durchlüften – neuen Arbeitszeitenmodellen und bunten Sitzsäcken – lässt sich eine Unternehmenskultur und Zukunftsstrategie nicht ändern. Ein solcher Wandel muss tiefer in die Unternehmens-DNA eingreifen: Kommunikation, Führung und Selbstorganisation in Teams müssen völlig neu betrachtet werden. Copy and Paste ist dafür nichts. Jedes Unternehmen muss sich die Frage stellen, wie sein individueller Weg zu mehr Agilität aussieht. Das simple Kopieren von vermeintlich erfolgreichen Organisationsformen entspricht eher dem Gegenteil von Agilität. Denn was das eine Team optimal zum Erfolg führt, muss für das andere Team nicht unbedingt stimmig sein. Agilität bedeutet, sich auf die einzelnen und individuellen Herausforderungen im eigenen Kontext einzustellen und die genau dafür passenden Lösungen zu suchen. Es kann hilfreich sein, sich mit anderen über Erfahrungen auszutauschen, doch nichts ist zielführender als eigene Erfahrungen zu sammeln. Und dazu gehört: agiles Arbeiten fängt mit agilem Arbeiten an. Einfach loslegen, Fehler machen und mit Freude und Geschwindigkeit daraus lernen.
„New Work“ kann nicht von heute auf morgen erfolgreich sein
Auf der Suche nach den geeigneten Arbeitsformen sind Neugier und Offenheit, gepaart mit Innovationsbereitschaft und Gestaltungswille gefragt. Gerade letzteres ist ein entscheidender Punkt, der uns bei der Einführung agiler Arbeitsformen immer wieder begegnet: „New Work“ kann nicht von heute auf morgen eingeführt werden und sofort erfolgreich sein. Viele Mitarbeiter – in der Sachbearbeitung wie im Management – müssen erst lernen mit neuen Freiheiten und neuen Rahmenbedingungen, wie z.B. mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation, umzugehen. Für Viele der jüngeren Generation, die gerade diese Bedingungen häufig als Vorrausetzung erwarten, mag das schwer zu verstehen sein. Aber jahrelange Erfahrungen und eingespielte Arbeitsformen lassen sich nicht im Handumdrehen austauschen. In manchen Organisationen lässt sich (leider) erkennen, dass manche Schlagworte wie Agilität und New Work schon verbrannt sind, bevor sie überhaupt richtig verstanden und ausprobiert wurden. Nach dem Motto: Das ist die nächste Sau, die durch das Dorf getrieben wird. Einfach schön stillhalten – auch das geht vorbei.
Schön zu beobachten sind aber auch hier Erlebnisse, in denen die größten anfänglichen Kritiker im Laufe des Prozesses zu Vorreitern und Befürwortern werden. Erst kürzlich erzählte uns eine Führungskraft von einem Gespräch mit einem Mitarbeiter, der zu ihm sagte: „Ich muss zugeben, ich war anfangs nicht überzeugt von der Sache. Aber was wir bis jetzt schon in unserem Team vorangebracht und welche Ideen wir entwickelt haben, ist echt beeindruckend. Und das alles ohne deine Vorgaben.“ In genau diesem Team kommen die Mitarbeiter zwar immer noch mit dem ein oder anderen Problem zur Führungskraft, aber nicht um nach Hilfe zu fragen und um Entscheidungen zu erbitten, sondern um Lösungen und erfolgreiche Weiterentwicklungen zu präsentieren.
Agiles Arbeiten? Das heißt doch, jeder macht was er will!
Nicht selten begegnet uns anfänglich der Einwand: Agiles Arbeiten? Das heißt doch, jeder macht was er will… Gerade in der Anfangsphase gilt es daher, ein gemeinsames Verständnis von agil sowie Vereinbarungen und Verabredungen zwischen den Mitarbeitenden und Führungskräften zu treffen. Klare Rahmenbedingungen bezogen auf die Auftragsklärung, die Kommunikation, Zusammenarbeit und Abstimmung im Team und mit den Führungskräften, die Dokumentation sowie die Gestaltung der einzelnen Arbeitsphasen und deren Auswertung (sogenannte Retros und Reviews), sind ausschlaggebend für eine erfolgreiche Einführung. Agil sollte nicht das Ziel sein, sondern (Hilfs-) Mittel und Ökosystem zugleich, um Ziele und Ergebnisse zu erreichen.
Bedeutet agiles Arbeiten die Abgabe von Führungsverantwortung?
Das alte Denken, dass der Manager das Wissen hat und den perfekten Prozess von A nach B vorgibt, funktioniert nicht mehr. Vieles verändert sich im Drei-Monats-Takt. Niemand weiß mehr alles. Darum: Chefs sollten Rahmen setzen, Vision und Werte vermitteln. Die Mitarbeiter bekommen die Freiheit, den besten Weg zum Ziel zu finden. Viele Wege führen nach Rom, nur wer selbst losläuft, findet vielleicht eine Abkürzung. Fehler machen, Feedback bekommen und geben, besser werden, Lernprozesse gezielt einbauen, das gehört zum agilen Ökosystem und zu einer New Work-Kultur. Mitarbeiter werden dabei am besten nicht ganz allein gelassen, sondern begleitet.
„Letztlich trag ja doch ich die Verantwortung; dann will ich auch die Kontrolle.“ Es bleibt ein Spannungsfeld zwischen Führungskräften und der Selbstverantwortung im Team. Die Grundidee von Agilität ist, dass selbstverantwortlich und unternehmerisch handelnde Menschen in Teams mit großem Handlungs- und Entscheidungsspielraum kollaborativ zusammenarbeiten, iterativ lernen und schnell substanzielle Ergebnisse in der Wertschöpfungskette erzeugen. Für viele Führungskräfte stellt sich dabei oft die Frage: Und wo ist meine Rolle und Verantwortung? Wo soll, darf oder muss ich noch eingreifen ohne den agilen Prozess zu behindern?
Selbstorganisation braucht Führung!
Und die Mitarbeiter und Teams? Sie müssen mehr Verantwortung übernehmen, sich fokussieren und ihre Zeit managen. Das wollen die meisten auch, aber eben auch nicht alle.
Daher gilt es das Spannungsfeld aktiv zu bearbeiten und nicht einfach nur zu konstatieren. Sonst wird sich schnell Widerstand regen und formieren – auf beiden Seiten. Das neue Zusammenspiel muss auch erst eingeübt werden, dabei passieren Fehler und Rückschläge. Dass diese konstruktiv genutzt werden können, wenn damit sehr bewusst umgegangen wird, zeigt sich in der Vielzahl der von uns begleiteten agilen Teams. Wir können Ihnen sagen, Selbstorganisation braucht Führung! Und: Führung und Führungsrollen werden vielfältiger. Es braucht ein breiteres Repertoire, Führung in unterschiedlichen Konstellationen – selbst innerhalb desselben Unternehmens – auch zielführend zu gestalten und zu leben.
Menschen verbinden, vernetzen und einbinden, Umbrüche bewältigen und den Wandel zu einer flexiblen vernetzten Arbeitskultur einleiten und vorleben – diese Aufgaben werden den Führungsalltag mitbestimmen. Und da hilft es Führungskräften, persönliche Herangehensweisen hinterfragen zu können, mit Unsicherheiten offen umgehen zu können – und darin ebenfalls nicht allein gelassen und begleitet zu werden. Nur so werden Sie alle auf die Frage: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ antworten können: „Das kann ich heute noch nicht sagen. Aber wir haben es in der Hand, dass es gut wird.“